NACH OBEN

Paestum, Italien

Der Forumstempel und das Comitium

Ansprechpartner: Prof. Dr. Jon Albers


Am römischen Forum von Paestum liegen mit dem Komplex von Comitium und Tempel zwei Bauten, denen in der Forschung zur Architektur und zur Urbanistik republikanischer Kolonien höchste Wichtigkeit beigemessen wurde. Dies liegt einerseits an dem sehr gut erhaltenen Befund und den Funden aus dem Areal, anderseits jedoch an den zahlreichen ungewöhnlichen Elementen dieser beiden Anlagen. So konnten bis heute weder die exakte Rekonstruktion des Tempels, noch sein Kult oder seine genaue Datierung zweifelsfrei und restlos überzeugend geklärt werden. Des Weiteren sind Teile der Altfunde bisher nur unvollständig vorgelegt worden. Besonders kommt dem Tempel aufgrund seiner Bauornamentik, der Kombination von dorischer und korinthischer Ordnung und den korinthischen Kopfkapitellen eine zentrale Stellung bezüglich der Entwicklung der mittel- bis spätrepublikanischen Architektur in Italien zu.

Nicht minder bedeutsam ist auch das Comitium, das in seiner Erhaltung zu den wichtigsten Vertretern dieses architektonischen Typus in den römischen Kolonien zählt. Höchst ungewöhnlich ist das seltsam anmutende Einschneiden des Forumstempels in das Stufenrund im Comitium, der mit seinem Podium einerseits in das Versammlungsrund eingreift und andererseits auf dem (bislang nur hypothetisch rekonstruierten) westlichen Eingangsbereich liegt. Während der Bau des Comitiums noch mit dem Beginn der römischen Kolonie verbunden wurde, schwanken die Datierungen für den Tempel zwischen dem 4. und dem frühen 1. Jh. v. Chr. – es wurde insofern immer wieder diskutiert, ob der Tempel älter, jünger oder gleichzeitig mit dem Comitium ist.


Forschungsziel

Langfristiges Ziel des Projektes ist es, die Unstimmigkeiten hinsichtlich der Datierung des Komplexes in den bisherigen Forschungen zu lösen, das zugehörige Material und die Bauornamentik endlich vollständig aufzunehmen und ein klareres, möglicherweise neues Bild der Anlage zu gewinnen. Damit könnte es gelingen einen der wichtigsten Tempel hellenistischer Zeit in Italien endlich als sicheren Fixpunkt zu bestimmen.



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Arbeitsmodell in AutoCAD
Sondierungskampagne 2017

Die ersten Vorarbeiten dienten dazu, die Ergebnisse älterer Bauaufnahmen zu verifizieren und eine aktuelle Bestandsprüfung vorzunehmen. Hierzu wurden der Forumstempel, einzelne Bauglieder sowie Abschnitte des Comitiums neu vermessen und eine Messwolke für ein Arbeitsmodell in AutoCAD erstellt. Neben einer fotografischen Dokumentation des aktuellen Zustandes wurden auch die Architekturteile sowie die bisher unpublizierte Keramik aus dem Depot des Museums aufgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass sich einerseits die Keramik aus dem Umfeld des Tempels nicht jünger als in das 3. Jh. v. Chr. datieren lässt und andererseits deutlich mehr Bauglieder für die Rekonstruktion erhalten sind, als bislang publiziert. Auch wurden zahlreiche wichtige Details der Ornamentik- und Metopenblöcke, insbesondere zum Verlauf ihrer Stoßfugen oder der Rückseiten, nicht in den bislang vorgelegten Rekonstruktionen berücksichtigt.



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Grabungsarbeiten auf dem Podium 2019.
© C. Widow
Kampagne 2019

Im Rahmen einer zweiten Kampagne konnten neue Ausgrabungen in bislang nicht untersuchten Bereichen des Tempels durchgeführt werden. Als Format wurde ein Lehrgrabungsprojekt gewählt, da aufgrund der Hinterlassenschaften des Tempels Studierende die Möglichkeiten hatten in allen typischen Bereichen einer archäologischen Mittelmeergrabung teilzunehmen und umfangreiche Erfahrungen zu sammeln. Dabei stellte sich schnell heraus, dass nach Abhub der ersten Humusschichten annähernd der gesamte Innenbereich des Podiums (Cella und östliches Pteron) noch über die ungestörte mörtelartige Verfüllung verfügt, die in verschiedenen Arbeitsschritten eingebracht worden war und sich klar stratigraphisch unterscheiden lässt. Ein kleiner Teil dieser Schichten im östlichen Pteron wurde ergraben. Vor allem konnten diese Schichten im Cellafundament und auf der Ostseite des Tempels freigelegt werden, wo man bisher noch nie das vollständige Gitterfundament dokumentiert hatte. Hier waren die Blöcke des Podiums im Mittelalter – wahrscheinlich im Rahmen der normannischen Neubauten in Salerno – massiv beraubt worden. Die zugehörige Raubgrabenverfüllung war neben der Erde zu großen Teilen mit Baumaterial des Tempels durchsetzt.

Gleichzeitig wurden zwei ältere Schnitte neu geöffnet, um die Stratigraphie zu überprüfen und der gesamte Tempel wurde für einen Laserscan-Aufnahme gereinigt. Die Ergebnisse sind bereits äußerst vielversprechend: Zum einen erbrachten die Untersuchungen der Verfüllungen viele Aufschlüsse über den antiken Bauprozess des Podiums. Neben diversen Abschlagskonzentrationen sind hier auch Abdrücke von antiken Installationen in den Verfüllungen zu nennen. Zum anderen stellte sich heraus, dass der vorgelagerte Altar eine Vorgängerphase in leicht schräger Ausrichtung besitzt. Auch konnten einige weitere Fragmente der antiken Bauornamentik – unter anderem der archaisierende Kopf eines der Kopfkapitelle – geborgen werden und es fanden sich zahlreiche Bruchstücke zweier Fußböden aus opus signinum und monochromen Tesserae.


Kampagne 2021

Nach einer Pause aufgrund der Corona-Pandemie 2020 konnten die Arbeiten 2021 fortgeführt werden. Dabei wurden die Grabungen auf den nordöstlichen Übergang vom Tempel zum Comitium sowie die westliche Altarzone konzentriert. Zunächst konnte belegt werden, dass eine massive Drainageschicht im Inneren des Comitiumrundes mit der Errichtung des Comitiums im 3. Jh. v. Chr. zusammenhängen dürfte und nicht wie bislang postuliert archaisch zu datieren wäre. Gleichzeitig konnten, trotz der zahlreichen Eingriffe in den 1930er, 1950er und 1980er Jahren ungestörte Reste der Stratigraphie am Podiumsfundament erkannt werden. Die Beobachtungen hier legen eine Zweiphasigkeit der Fundamente nahe: eine Phase vor und eine nach der Errichtung des Podiums. Auch stellte sich heraus, dass der jüngere Teil des Podiums mit den Spolien einer älteren, niedergelegten Architektur unterfüttert war. Hier fanden sich Bauteile einer sorgsamen Profilierung als unterste Fundamentlage.

In der Altarzone verdichten sich die Hinweise, dass das große Wasserbecken vor dem Altar älteren Ursprungs sein dürfte, als bislang angenommen, und gleichzeitig wohl aufgrund der Dimensionen eng mit dem Altar und somit auch dem Kult des Tempels verbunden gewesen sein dürfte. Diese Zone ist jedoch besonders gestört, sowohl durch die jüngeren Ausgrabungstätigkeiten, als auch durch mittelalterliche Eingriffe. So fand sich hier eine frühmittelalterliche Bestattung, was zu anderen Gräbern aus der Umgebung des Forums passt.


Kampagne 2023

In der Kampagne 2023 wurden zwei Schnitte angelegt.
 

Schnitt 7 konzentrierte sich auf den Innenraum des Comitiums unmittelbar vor der Cavea im Nordosten. Hier wurde zunächst die gesamte unterste Reihe der Stufenanlagen gereinigt und freigelegt. Unmittelbar unter dem Stufenrund der Cavea liegen noch die Reste von mehreren Laufhorizonten in situ. Diese bestehen aus stark mit Kalk und Keramikbruch durchsetztem Stampflehm. Diese aufeinanderliegende Böden wurde fast alle beim Bau der Cavea durchschnitten, um die unterste Stufenlage einzupassen. Auffällig ist auch die Konstruktion der Mauer im Norden, die als Teil eines erhöhten Portikus vor der Curia interpretiert wird. Sie wurde im östlichen Teil direkt auf den jüngeren Gehhorizont gesetzt, während weiter westlich eine weitere Blocklage (Euthynterie) existiert. Im Inneren des Comitiums fanden sich weiter Reste der antiken Drainage, was gut zu den Befunden der letzten Jahre an der Westseite des Comitiums passt (Vgl. Kampagne 2021/2022).

Entlang der Außenseite von Tempel und Comitium wurde Schnitt 8 eingerichtet, der im Westen durch die Freitreppe des Tempels und im Osten durch Schnitt 66 von Greco- Theodorescu begrenzt wird. Auch hier wurde eine klare Abfolge von unterschiedlichen Laufhorizonten im Bereich des Forumsplatzes, die in ihrer Zusammensetzung ähnlich sind und relativ dicht aufeinander folgen, gegraben. Der unterste Horizont war an vielen Stellen antik durchbrochen: vor allem fanden sich Pfostenlöcher unterschiedlicher Dimensionen sowie ein rechteckiges Loch unmittelbar vor dem Tempelpodium. Auffällig sind die größten Pfostenlöcher, die in einer Linie am Südende des Schnittes durchlaufen. Eine genauere Datierung ist bislang noch nicht möglich, da der Befund bisher nicht gegraben wurde. Aber der Boden ist sicher älter als der Tempel und auch als die Mauer des Comitiums, denn er wurde mit einem Fundamentgraben durchstochen, als man die Comitiumsmauer errichtete. Im Nordteil des Schnittes kam auch eine Wasserleitung zum Vorschein. Sie besteht aus länglichen Blöcken, in die der Kanal eingetieft wurde und scheint im Osten unter die Comitiumsmauer zu gehen.


Ein Teilprojekt stellt die systematische Neuaufnahme aller Bauteile sowie die zusätzliche Dokumentation aller Objekte der Bauornamentik im Structure from Motion-Verfahren dar. Hierfür wurden alle Bauteile des Tempels gereinigt, beschrieben, gezeichnet und dann photographisch aufgenommen, die fertigen Modelle dann am Computer zusammengesetzt und rekonstruiert. Es stellte sich dabei bereits schnell heraus, dass sich wesentliche Überlegungen der älteren Rekonstruktionen nicht länger aufrechthalten lassen und eine neue Rekonstruktion vielversprechend erscheint.

In der Kampagne 2023 wurden vor allem die Metopen weiter dokumentiert. Es erfolgten weitere Fotographien von diesen, insbesondere von den Ober- und Unterseiten. Gleichzeitig wurden die rückseitigen Profile der Metopen zeichnerisch dokumentiert, um die dortigen Differenzen in der Ausgestaltung besser nachvollziehen zu können.


J. Albers – A. Bertelli – C. Haubenthal – L. Latzel – Th. Schapals – M. Rimböck – B. Weissová – C. Widow, Der korinthisch-dorische Tempel und das Comitium am Forum von Paestum. Die Kampagnen 2017, 2019, 2021, AA 2023, eingereicht

J. Albers – C. Widow, Il Tempio al Foro di Paestum, Nuovi Scavi 2019, in: E. Greco (Hrsg.), Fenomenologia e interpretazioni del rito. IV Convegno Internazionale, Paestum 2019, DialArchMed 2019.2, 23–31

J. Albers – C. Widow – M. Rimböck – Th. Rafflenbeul, Der korinthisch-dorische Tempel am Forum von Paestum. Die Grabungskampagne 2019, KuBA 8, 2019, 53–64

J. Albers - M. Rimböck - C. Widow, Neue Forschung zum korinthisch-dorischen Tempel am Forum von Paestum. Bericht der Vorkampagne 2017, KuBA 7, 2017, 75–90


Projektleitung

Prof. Dr. Jon Albers
Professor für Klassische Archäologie mit dem Schwerpunkt Siedlungen und Landschaften im antiken Mittelmeerraum

Institut für Archäologische Wissenschaften
Ruhr-Universität Bochum
Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Raum: 0.3.2
Tel.: (0234) 32-28528
Mail: jon.albers@rub.de


Projektteam
Stellvertretende Projektleitung

Claudia Widow M.A. (auch Schnittleitung und Bauornamentik)
Institut für Archäologie und Kulturanthropologie
Universität Bonn, Am Hofgarten 21, 53113 Bonn
e-mail: cwidow@uni-bonn.de

Schnittleitung, Organisation und Praktikumsbeauftragte (ab 2021)

Dr. Anna Bertelli
Institut für Archäologische Wissenschaften
Ruhr-Universität Bochum, Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Tel.: 0234 / 32-19232
e-mail: anna.bertelli@rub.de

ehemalig:
Ehemalige Schnittleitung
Clarissa Haubenthal M.A. (2021)

Anna-Lisa Schneider B.A. (2022)

Vermessung, Luftbilder und Archäoinformatik

Dr. Barbora Weissová (2021)
Marc Klauß B.A. (ab 2022)

Fundbearbeitung

Miriam Rimböck M.A. (2017/19)
Theresa Rafflenbeul M.A. (ab 2021)
Dina Schwarz M.A. (ab 2023)
Hanna Merk B.A. (ab 2023)

Bauornamentik & SfM

Lucas Luigi Latzel M.A. (2019-2022)
Claire Dohmen B.A. (ab 2023)



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Das Grabungsteam 2021.
© B. Weissová
Teilnehmer*innen
2017

Florian Birkner, Stefanie Herten, Stefanie Holzem (Vermessung), Annabelle Walter, Ferdinand Wulfmeier

2019

Antonia Becker, Georgy Chekalov, Lina Etzelmüller, Anna Jochheim, Jan-Philipp Lenk, Jakob Matyschok, Leonie Nolte, Svenja Oebel, Tim Teufel, Johannes Todtberg

2021

Eireen Bachmann, Stella Becker, Johanna Brenneke, Claire Dohmen, Lilly Eckhoff, Jan-Philipp Lenk, Sophie Peintinger, Tim Teufel und Věra Doležálková (Zeichnerin)

2022

Damaris Axmann, Sina Blecher, Claire Dohmen, Lennart Fütterer, Bejamin Gronwald, Hanna Merk, Simon Prinz, Nicola Reß, Ira Victoria Schwabenland, Dina Schwarz, Tim Teufel, Kader Tokul, Jonas Tilahun, Stefan Ullrich, und Fee Wirges

2023

Talina Albrecht, Margarida Alvega Cerejo, Sarah Fabienne Beermann, Lilly Johanna Eckhoff, Cara Felicia Klein-Raufhake, Zakary Storm Müller, Niklas Packlin, Nicola Reß, Lara-Maria Schneider, Enya Schröer, Niklas Schuller, Sarah Schulte, Dina Schwarz und Anja Wolf