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Selinunt, Süditalien


Funktionsbereiche einer antiken Hafenzone

Ansprechpartnerin: Prof. Dr. Jon Albers


Die Häfen von Selinunt werden schon seit dem 19. Jh. in den Talsenken beiderseits des Siedlungsplateaus der Manuzza vermutet. Neben der topographischen Beschaffenheit des Geländes führte man dafür vor allem zwei lange parallele Mauern an, die in jener Zeit im östlichen Tal des Gorgo Cotone sichtbar waren. Neuere geophysikalische Prospektionen der Universität zu Köln und des DAI Rom (2014/2015) bestätigen diese Annahme und legen den Verdacht nahe, dass zumindest im Osten der Stadt eine tief in das heute verlandete Tal hineinreichende Hafenbucht existierte. An diese Vorarbeiten knüpft das Projekt zum Osthafen von Selinunt unmittelbar an. Ziel des Vorhabens ist der zweifelsfreie Nachweis eines architektonisch ausgestalteten Hafens im östlichen Tal des Gorgo Cotone. Dieser soll sowohl durch feldarchäologische Arbeiten als auch mit Hilfe von Bodenuntersuchungen erstmals bestätigt werden.


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1 Luftbild des Gorgo Cotone von Westen mit Schnitt 1 (links), Schnitt 4 (mittig) und Schnitt 3 (rechts am Bildrand).
Forschungsziel

Daneben steht insbesondere auch die erste Untersuchung der in der geophysikalischen Prospektion sichtbaren Spuren von Strukturen an den Rändern des Areals im Fokus des Projekts, um deren antike Funktion zu klären, d.h. um herauszufinden, ob es sich hier um die Randbebauung – etwa Speicherbauten, Distributionsorte oder Schiffshäuser – des Hafens handelt. Gleichzeitig ist die Anbindung des Hafens an die städtische Infrastruktur insbesondere unter wirtschaftshistorischen Fragestellungen zu klären. Neben der Erstellung eines digitalen Geländemodells, stehen vor allem die geomorphologisch-sedimentologischen Untersuchungen des Gebietes, die archäologischen Grabungen an den Randzonen, die begleitende Fundbearbeitung und archäobotanische Analysen im Zentrum der Bochumer Forschungen.


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Plan mit Bohrungen
Die bodenkundlichen Untersuchungen

Mehrere Transekte mit über 60 Bohrungen wurden bislang im Bereich des Cotonetals angelegt. Dabei konnte klar festgestellt werden, dass in prähistorischer Zeit das gesamte heutige Tal bis weit in das Landesinnere eine offene Meeresbucht war, die jedoch sukzessive verlandete. Besonders in den historischen Phasen wandelt sich der Wassergehalt stark, so dass von einer Entwicklung zu einem lagunalen Ambiente auszugehen ist. Dies könnte auch mit einem Sandhaken entlang der Küste zusammenhängen, der jedoch einen Durchstich, vermutlich eine Kanaleinfahrt im Bereich des heutigen Flussverlaufes offenließ.

Die Grabungen an den Hafenrändern

Mit bislang 4 Schnitten wurden die äußeren Ränder der ehemaligen Hafenbucht erfasst und hinsichtlich der jeweiligen Nutzung dieser Randbereiche untersucht. Dabei konnten in den unterschiedlichen Zonen verschiedenartige Funktionsbereiche beobachtet werden. Während im Osten (S2) bislang lediglich eine einfache Bebauung mit einem Stampflehmboden und Resten von verbrannten ephemeren Strukturen nachgewiesen wurden, fanden sich im Westen, also unmittelbar außerhalb der Stadtmauer komplexere Befunde. In zwei Schnitten (S3 und S4) konnten zahlreiche Negativ-Abdrücke unterschiedlicher Zeitstellungen dokumentiert werden, von denen zumindest eine aufgrund ihrer Dimensionen und ihres Gefälles als eine Schiffsrampe hellenistischer Zeit zu deuten ist.

Eine ähnliche Interpretation ist auch für die anderen Negative denkbar. Zudem konnte in dieser Zone festgestellt werden, dass der westliche Hafenbereich mit dem innerstädtischen Viertel durch mehrere Pforten verbunden war, was bereits in der Vergangenheit vermutet wurde. Der Befund einer solchen Pforte in S3 belegt diese bisherige Hypothese nun eindrucksvoll. Spuren von steinernen Pavimenten deuten gleichzeitig an, dass – vermutlich in archaischer Zeit – dieses Areal sehr massiv gestaltet war.


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Pforte S3

Von besonderer Bedeutung ist auch die nördliche Zone des Hafens (S1). Hier ließen sich vor allem Phasen des 6. und 5. Jhs. v. Chr. nachweisen. Aus archaischer Zeit stammt eine stark zerstörte Hallenarchitektur mit benachbarter Kaimauer. Beide Strukturen wurden noch in griechischer Zeit aufgegeben und im 5. Jh. durch eine Straße mit Brücke über den Cotone überbaut. Die Straße endete im Osten in einer Kreuzung, durch die eine Wegeführung in die südliche Hafenzone und in Richtung Norden zum ‚Großen Osttor‘ (T2) geschaffen wurde. Im Westen führte diese Verkehrsachse durch das Stadttor T1 und als Straße S6-E direkt zur Agora. Eine vom Osthügel talwärts verlaufende Wasserleitung versorgte die nördliche Hafenzone (und vermutlich auch die unmittelbaren intramuralen Bereiche) mit Frischwasser.



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S6 mit Dachversturz

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S7 Übersicht
Die Grabungen an der Straße S6-E

Im innerstädtischen Bereich des Hafenviertels wurden zwei Schnitte (S6 und S7) beiderseits der Straße S6-E zur Agora angelegt. Auf beiden Seiten konnte eine repräsentativ gestaltete Bebauung mit großformatigen Blöcken zur Straße festgestellt werden. In S6 zeichnet sich der rückwärtige Teil einer Stoa mit einem vorgelagerten Hofareal ab, der im 5. Jh. v. Chr. als Lagerfläche genutzt wurde. Belegt wird dies durch zahlreiche Reste von Transportamphoren sowie einen in den Boden eingelassenen Pithos unter einem massiven Dachversturz. Vor der Nutzung als Lager scheint hier eine Metallwerkstatt gelegen zu haben. Zu den zahlreichen Funden des letzten Horizonts der Straße S6-E zählt unter anderem eine unfertige Löwenkopfsima aus parischem Marmor. In S7 konnte ebenfalls eine große hofartige Fläche erkannt werden, an die sich mehrere kleinteilige Räume anschließen. Die assoziierten Fundmaterialien deuten auch hier an, dass zumindest partiell Metallverarbeitung stattgefunden hat.


Das Fundmaterial

Das vorwiegend keramische Fundmaterial datiert überwiegend in das 6. und 5. Jh. v. Chr., wobei aus räumlich begrenzten Bereichen und stratigraphisch jüngeren Schichten auch spätklassisches bis hellenistisches Material stammt. Vor allem handelt es sich um lokal produzierte Gebrauchswaren, aber auch um feinkeramische Importe und Transportamphoren. Beide Gruppen weisen auf enge Handelsverbindungen im ostgriechischen Raum hin, darunter insbesondere auf Korinth und Mittel- bzw. Südionien. Die Transportamphoren weisen darüber hinaus auch ein differenziertes Handelsnetz im westgriechischen Raum nach, das den umliegenden Bereich der Magna Graecia umfasst, aber auch weiter in den Osten bis zur ionio-adriatischen Küste und in den Norden bis nach Massalia reicht. Einige Amphoren aus dem punischen Raum runden das Bild ab.


J. Albers – A. Miß, Eine neue Löwenkopfsima aus Marmor des 5. Jhs. v. Chr. aus Selinunt, RM 129, 2023, 116–125

O. Dally – J. Albers – S. Helas – A. Miß – M. Schlöffel – S. Schneider, Selinunt, Italien. Forschungen in Selinunt, Teil 2. Die Arbeiten der Jahre 2020 und 2021, eDAI-F 2022-2, §1–26

O. Dally – J. Albers – H. Bücherl – S. Helas – A. Henning – F. Mège – A. Coutelas – A. Lindroos – J. Olsen, Selinunt, Italien – Selinunt. Die Arbeiten des Jahres 2019, eDAI-F 2020-3, 57–85

J. Albers – M. Rimböck – A. Benz – H. Renners – M. Schlöffel – S. Schneider, Der Osthafen von Selinunt. Vorbericht zur ersten Kampagne 2019, KuBA 8, 2018 (2019), 37–52

J. Albers, I porti di Selinunte, in: R. Atria – G.L. Bonanno – A. Curti Giardina – G. Titone (Hrsg.), Selinunte. Produzioni ed economia di una colonia greca di frontiera, Selinunte, SicA 111, 2019 (Rom 2019) 121–134

J. Albers, Die Häfen der Westgriechen. Hafenstrukturen in den griechischen Kolonien der Magna Graecia und auf Sizilien, in: M. Seifert – L. Ziemer (Hrsg.), North Meets East 2 – Aktuelle Forschungen zu antiken Häfen, Gateways 4, 2018, 1–27

  • Leonie Nolte, Der Osthafen von Selinunt. Kontextualisierung der korinthischen Keramikfunde aus den Forschungskampagnen 2019/2020 (BA 2021)
  • Johanna Brenneke, Ein Selinunter Gorgoneion – Einordnung in die Abbildungstradition von Gorgoneia der Magna Graecia (BA 2024)


Projektleitung

Prof. Dr. Jon Albers
Professor für Klassische Archäologie mit dem Schwerpunkt Siedlungen und Landschaften im antiken Mittelmeerraum

Institut für Archäologische Wissenschaften
Ruhr-Universität Bochum
Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Raum: 0.3.2
Tel.: (0234) 32-28528
Mail: jon.albers@rub.de

Stellvertretende Projektleitung

Axel Miß M.A.
Ruhr-Universität Bochum

Institut für Archäologische Wissenschaften
Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Tel.: 0234 / 32-25389
E-Mail: axel.miss@rub.de

Leitung Fundbearbeitung und Koordination

Clarissa Haubenthal M.A.
Ruhr-Universität Bochum
Institut für Archäologische Wissenschaften
Am Bergbaumuseum 31, 44791 Bochum
Tel.: 0234/ 32-25922
E-Mail: clarissa.haubenthal@rub.de

Schnittleitungen

Schnitt 1: Annkatrin Benz B.A. (2019), Axel Miß M.A. (seit 2020) und Anna-Lisa Schneider B.A. (seit 2023)

Schnitt 2: Hannah Renners M.A. (2019)

Schnitt 3: Hannah Renners M.A. (2020), Lucas Latzel M.A. (2020-23) und Stella Becker B.A. (ab 2024)

Schnitt 4: Prof. Dr. Jon Albers (2022) und Sophie Peintinger B.A. (seit 2023)

Schnitt 6 und 7: Axel Miß M.A. (2023)

Fundbearbeitung

Dr. Linda Adorno (2019/20), Miriam Rimböck M.A. (2019-21) und Clarissa Haubenthal M.A. (seit 2022)

Technik & Archäoinformatik

Dr. Barbora Weissová (2020-23) und Marc Klauß B.A. (seit 2021)

Geologische Untersuchungen

Dr. Marlen Schlöffel und Dr. Steffen Schneider (Universität Osnabrück)

Archäobotanik

Dr. Nicole Boenke (Universität Bochum)

Studentische Teilnehmer*innen

2019: Hannah Boes, Jens Christopeit, Marc Klauß, Thomas Linß, Till Müller, Clara Isabell Schmidt, Frank Schlütz und Anna-Lisa Schneider

2020: Marcella Beermann, Hannah Boes, Georgy Chekalov, Lina Etzelmüller, Clarissa Haubenthal, Marc Klauß, Lucas Latzel, Leonie Nolte, Theresa Rafflenbeul, Clara Schmidt und Anna-Lisa Schneider

2021: Clarissa Haubenthal, Jil Kartenberg, Lucas Latzel, Leonie Nolte, Leah Schiebel, Anna-Lisa Schneider und Lara Töreki

2022: Celine Bariszlovich, Stella Becker, Johanna Brenneke, Lilly Eckhoff, Annika Gäth, Jan-Philipp Lenk, Leonie Nolte, Sophie Peintinger, Leah Schiebel, Anna-Lisa Schneider, Linda Tuckwell, Stefan Walter

2023 Frühjahr: Stella Becker, Claire Dohmen, Lennart Fütterer, Benjamin Gronwald, Leonie Nolte, Simon Prinz, Victoria Schwabenland

2023 Sommer: Damaris Axmann, Antonia Becker, Stella Becker, Sina Blecher, Johanna Brenneke, Angelina Daxenberger, Lennart Fütterer, Benjamin Gronwald, Selin Isli, Hanna Merk, Pascal Mund, Leonie Nolte, Leah Schiebel, Dina Schwarz, Jonas Tilahun

2024 Frühjahr: Stella Becker, Angelina Daxenberger, Benjamin Gronwald, Marc Klauß, Leonie Nolte, Anna-Lisa Schneider, Stefan Walter

Kooperationen vor Ort

Firma Tanit (Familie Gaspere und Alessio Sciacca), Giovanni Russo

Unterstützung

Das Projekt wird unterstützt mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (Projektnummer: 425484313) und findet im Rahmen einer Kooperation mit dem Deutschen Archäologischen Institut Rom (Prof. Dr. Ortwin Dally) und dem Parco Archeologico di Selinunte e Cave di Cusa (Dr. Felice Crescente) statt.